Ausgrabungen 1931

Die denkwürdigen Ausgrabungen in der Neunheilinger Peter- und Paulskirche im September 1931.

1. Kapitel.

Unsere nun Gottlob bald fertige Kirchenheizungsanlage hat uns genötigt, einen Teil des Kirchenraumes zu unterkellern. War ursprünglich hierfür der Altarraum vorgesehen, so haben wir uns dann doch aus technischen Gründen für die der Pfarrhausecke gegenüberliegende Südwestecke der Kirche entschieden und hier an der Innenseite des Westgiebels ein beträchtliches Stück Erde in 3 m Tiefe aufgewühlt und ausgehoben, aber nicht nur Erde – sondern ein ganzes Stück weit zurückliegender Vergangenheit ist uns begegnet, mit Schleiern geheimnisvollen Zaubers umhängt – und sie gibt uns Rätsel auf, z. T. so schwer zu erraten und zu deuten wie die Rätsel der Zukunft. Und es ist uns, vornehmlich den beiden wackeren und fleißigen Erdarbeitern, dem Friseur Paul Ritter und dem Kaufmann Friedrich König, wieder und wieder fast so ergangen wie den Erforschern der alten ägyptischen und babylonischen Königsgräber: Die Lüftlein des Todes bedrohten uns und verursachten Störungen der Gesundheit, so daß Hacke und Schaufel niedergelegt werden mußten und die geheimnisvolle Stätte fluchtartig verlassen werden mußte.

Oben im Bauschutt, der sich unter den Bänken des Frauengestühles und unter den häßlichen roten Steinplatten in einer Tiefe bis zu 60 cm fand, wurden die ersten kleinen Zeugen aus alten Tagen entdeckt, ein Paar Münzen des achtzehnten Jahrhunderts: Ein Saalfelder Heller im Gewicht von 1 Gramm, eine schwache Kupfermünze mit Durchmesser von 1,7 cm. Prägung vom Jahre 1759 mit dem Wappen von Saalfeld auf der Rückseite und ein Kupferpfennig aus dem Jahre 1792 mit einem Gewicht von 2 Gramm und einem Durchmesser von 2 cm, der das Landeswappen von Sachsen-Weimar-Eisenach mit- den Insignien »S.W.U.E.« auf der Rückseite trägt. — erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß auch bei den Renovierungsarbeiten der Kreuzkirche vom Maurer Karl Paul eine Kupfermünze gefunden wurde, eine Scheidemünze von 3 Pfennigen, Prägung des Jahres 1855, Gewicht 5 Gramm, Durchmesser 2,3 cm. Rückseite Landeswappen »Fürstentum Reuß Jüngere Linie«.

In diesem Bauschutt, z. T. auch im festen Boden darunter, fanden wir auch eine Menge Kalkstücke von früherem Verputz der Innenwände herrührend, die alte Vemalung aufweisen, möglicherweise Zeugen aus zwei Ausmalungszeiten. Sie gestatten uns z.T. sehr interessante Rückschlüsse darauf, wie früher unser Gotteshaus malerisch ausgestaltet gewesen ist. Stücke von 15 cm Länge und 12 cm Breite sind dabei keine Seltenheiten. Bunte, leuchtende Farben treten uns auf ihnen entgegen, ein fröhliches Zinnoberrot, ein sehr farbig wirkendes Ockergelb, dazwischen in dünnen Linien und Verzierungen viel schwarz, auch grau und braun hier und da dabei. Man muß nur staunen, wie gut die Farben z. T. in der Tiefe des feuchten Erdreiches erhalten geblieben sind, ein Beweis für die Güte des früher verwandten Materials. Die Kirchenwände sind bei dieser anscheinend älteren Ausmalung mit leicht dahineilenden renaissanceartigen Ornamenten reich verziert und mit beinah modern wirkenden schwarzen Mustern abgesetzt gewesen. Von einer wohl jüngeren Ausmalung zeugen Kalkputzreste mit anderer Farbbemalung, in denen dunklere Farbtöne, ein tieferes Gelb und ein ins bräunliche schimmernde Englischrot vorherrschend sind. Diese Reststücke der aufgefundenen Wandmalerei können nicht die erste Vermalung des Gotteshauses gewesen sein, weil sie auf älteren Schichten aufgetragen sind. Es wird sich vielmehr um eine Ausmalung von ca. 1680 handeln, die die Kirche bis zum Jahr 1731 gehabt hat, wo doch sicher mit dem Einbau unseres Altares eine Neubemalung in glattem Anstrich nötig wurde. In der Leibung des Patronatsfensters oben im Patronatsstuhl befindet sich auch noch eine Spur älterer rokokoähnlicher Blumenbemalung, die aus der Wertherschen Zeit stammen dürfte. Der jetzige häßliche Allerweltskirchenanstrich stammt aus dem Jahre 1864. Interessant ist, daß wir beim Durchbruch der Fundamentmauer des Westgiebels mitten in der starken Mauer in Tiefe von ca. 50 cm einen rechts und links, oben und unten von anderen Steinen eingeschlossenen Stein fanden, der ebenfalls Reste von Bemalung in zinnoberroter Farbe trug.

Als diese Bauschuttschicht, die reichlich mit Erde durchsetzt war, abgetragen war, kamen wir am 5. September an den interessantesten Teil der Ausgrabungen, an einen Grabraum, der etwa 10 Gräber umfasste. Über den meisten von ihnen wölbten sich 30, 40 cm stark, im Rundbogen bis zur Fußsohle des Grabes hinabreichend, Steine; jedes mal eine Masse von handlichen mittelgroßen Neunheilinger Feldsteinen, mittels derer das Grab nach der Einbettung des Entschlafenen gegen oben abgedeckt und gesichert worden ist. Die Steine waren dachziegelartig, einer halb über den andern hinausgreifend, mit lehmhaltiger Erde verlegt worden, und zwar bei allen Gräbern aus die gleiche Weise, ein Zeichen dafür, daß die Gräber etwa aus der gleichen Zeit stammen. Vor der Zuwölbung sind die in Holzsärgen ruhenden Toten mit Erde bedeckt worden. Der Stand der Särge ließ sich bei allen Gräbern durch die Holzreste genau feststellen. In einem, dem rätselhaftesten Falle, war das einzige schmale Bodenbrett des Sarges, auf gewachsenem reinen Lehm verlagert, noch in vollkommen guterhaltenem Zustand und konnte herausgenommen werden, ohne daß es zerviel. Die Särge standen in einer Tiefe von 1,20 m bis 1,40 m.

Nun hebt das Rätselraten an. Um was handelt es sich hier? Sind wir auf einen alten Friedhof gestoßen? Das wäre an sich nicht undenkbar. Um die Kirche ringsherum läuft der »Kirchhof« oder Friedhof, die alte Begräbnisstätte Neunheilingens. — Er kann nach Westen unmittelbar bis ans Pfarrhaus herangereicht haben. Es könnte »vor Zeiten« eine andere Kirche« in ihm gestanden haben, nämlich eine kürzere als die jetzige, eine Kirche, deren Westgiebel ungefähr in der Linie der beiden Haupteingangstüren gestanden hätte und deren Schiff die gleichen Höhen- Breitenmaße gehabt hätte, die jetzt noch der ganze Altarraum hat. Dann wäre der alte Neunheilinger Friedhof bis an diesen gedachten Westgiebel, d. h. bis an den gedachten Verbindungsgang zwischen beiden Eingangstüren gegangen. Das wäre eine einfache Möglichkeit Aber sie hält den Forschungsergebnissen nicht stand.

Die Sachverständigen und Kunstgelehrten,“die in diesem Frühjahr und Sommer in hinreichender Zahl auch unsere Hauptkirche mit ihrem schönen Altar besucht und besichtigt haben, sind sich in ihrem Urteil einig darin, daß die Peter- und Paulskirche, wie sie heute steht, aus ein und derselben Bauzeit stammt, daß Altarraum und eigentliches Kirchenschiff architektonisch gleichzeitig entstanden sind. Auf die Gründe, die sie zu dieser Feststellung bestimmen, werde ich möglicherweise später in einem besonderen Aufsatz über die Kirche selbst zu sprechen kommen. Die Peter- und Paulskirche, wie sie heute steht, stammt etwa aus den Jahren 1450-1480. Sollten die aufgefundenen Gräber Bestandteil eines Friedhofes sein, so müßten sie mithin älter sein als. die-Kirche, d. h. vor 1450 entstanden sein. Das aber ist, zumindest um eines entscheidenden Fundes willen, aber auch aus anderen Erwägungen heraus, nicht möglich. Die Gräber sind vielmehr an 100 – 200 Jahre jünger als die Kirche, sie stammen aus der Zeit zwischen 1550 und 1650. Wir können heute mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, um was für Gräber es sich handelt.

Wer große deutsche Dome und ehrwürdige berühmte Kirchen im Vaterland besucht hat, weiß, daß in ihnen sich fast ausnahmslos die Grabstätten von Bischöfen, Erzbischöfen, Kaisern, Fürsten und andern berühmten Persönlichkeiten befinden. Es ist in alter Zeit das Vorrecht der Großen, sich in besonders denkwürdigen Stätten, in Kirchen und Domen bestatten zu lassen. Vielfach ist es auch die Liebe und Verehrung des Volkes, die ihre Führer und Lieblinge in die ehrwürdigsten Stätten. die es gibt, bestattet. Neunheilingen hat. soweit wir zurückblicken können, ein Kirchenpatronat gehabt, und seine Kirchenpatrone waren die führenden Edlen und Grafen der Gemeinde, z. T. Markante Persönlichkeiten deren Namen in der Geschichte fortleben. Diese Geschlechter des Manneslehnsgutes haben vor Jahrhunderten ihre Grabstätten im Gotteshaus gefunden. Ihren Häuptern nebst deren Gemahlinnen gebührte der Ehrenplatz. Sie ruhen mit großer Wahrscheinlichkeit unter dem Altarraum. Ihren Söhnen und Töchtern gebührte auch bevorzugte Ruhestätte: Sie ruhen hier und da unter dem Kirchenschiff. Seit unvordenklichen Zeiten ward mit dem Manneslehnsgut Neunheilingen beliehen das edle Grafengeschlecht derer »von Heilingen«. Bis zum Jahre 1638 hat es seine Führerrolle in Neunheilingen gespielt: Das im September 1931 aufgefundene Grabfeld in der Südwestecke der Neunheilinger Peter- und Paulskirche barg die im Innern des Kirchenraumes angelegten Grabkammern der Söhne und Töchter derer vom Geschlecht und Adel »von Heilingen«. Den Nachweis für diese These wird der fortführende Aufsatz in der Novembernummer bringen, der nun von dem Inhalt der Gräber selbst und den in ihnen gemachten bedeutsamen Funden und Feststellungen berichten wird.

Die denkwürdigen Ausgrabungen in der Neunheilinger Peter- und Paulskirche im September 1931.

2. Kapitel.

Seit dem Reformationsfest dieses Jahres ist nun glücklich unsere Kirchenheizung in Gang. Wohlige Wärme füllt den Kirchenraum zu den Gottesdiensten, und es ist nun keine Qual mehr, in der kalten Jahreshälfte das »Opfer eines Kirchganges« zu bringen und sich kalt zu frieren, sondern es ist seine Freude und Stärkung, in dem schön durch-wärmten Raum die sonntägliche Stunde der Gemeinschaft mit Gott zu feiern. So wollen wir denn nun auch zuversichtlich hoffen, daß der Gottesdienstbesuch nunmehr recht zunimmt und eine feiernde Gemeinde sich all-sonntäglich zusammenfindet, die wirklich eine »Gemeinde« ist – und nicht nur ein Häuflein weniger! Unten in dem Heizungskeller, dessen Besichtigung am Bußtag und Totenfest den Gemeindegliedern auf eigene Gefahr freisteht, befindet sich, von seinem Doppelmantel umhüllt, der glühende, Wärme spendende Ofen. Das Heizungssystem werden wir hier im Boten mit der ganzen Anlage ausführlicher beschreiben, sobald wir Platz dafür haben. Heute geht’s uns ja noch um die interessante Darlegung eines Andern!

Spätere Geschlechter sollen wissen und es nachlesen können, welche Geheimnisse gerade jenes Stück Kirchenraum enthielt,welches heute den Heizungskeller bildet. In einem vorauslaufenden Aufsatz haben wir von den vielseitigen interessanten kleineren Funden berichtet und bis an die Hauptsache herangeführt: An der Stelle unseres jetzigen Heizungskellers befand sich innerhalb des Kirchenraums ein Feld von Grabkammern, in denen vor Jahrhunderten die Söhne und Töchter derer vom Geschlecht und Adel »von Heilingen« ihre letzte Ruhe gefunden haben. Diese These gilt es zu beweisen und zu erhärten. In den zehn Gräbern, deren gemeinsame äußere Merkmale wir bereits beschrieben haben, haben wir verschiedene Funde gemacht.
Zunächst läßt schon die Größe der Gräber bestimmte Schlüsse zu. Ein Teil von ihnen, zwei am Kirchgiebel und andere in der mittleren Flucht, hatten die typischen Ausmaße für Kindergräber. Hierzu stimmte, daß in ihnen Knochenüberreste nur noch z. T. zu finden waren, die meisten völlig aufgelöst und verschwunden waren, die wenigen Gesundenen hingegen als Überreste von unausgewachsenen jugendlichen Körpern erkenntlich waren. Auch fanden sich hier und da in diesen Gräbern Überreste von Schuhen: Lederschnitte und Stücke von Größe halbwüchsiger Knaben- und Mädchenschuhe, z. T. das Leder noch mit der Sohle verbunden.

Besonders das erste am Kirchgiebel aufgedeckte Grab erwies sich nach Größe und Inhalt als Kindergrab Da genau über seiner Westgrenze am Kirchgiebel oben in der Kirche das Grabdenkmal sieht, ist anzunehmen, daß dieses Grabmal zum Grab gehört: Es ist scheint’s das älteste unter den aufgefundenen Gräbern, nach der Denkmalinschrift das Grab des Knaben Rudolf Melchior von Heilingen, der am Sonntag Estomihi des Jahres 1568 selig entschlafen ist und dem seine Eltern als letzten Wunsch das Wort mitgaben: »Gott Gnad der Seele zu aller Frist.« Auch das Denkmal selbst stellt ja in seiner Mittelfigur einen Knaben dar, ist leider heute durch Weißkalhübertünchung gänzlich verunziert und entstellt, läßt sich aber von sachkundiger Hand sicherlich recht schön ausarbeiten, sodaß es später einmal eine Zierde des Gotteshauses werden könnte. Wir haben es wieder an seiner alten Stelle, jetzt über dem Deckengewölbe am Westgiebel ausgestellt. Auch auf ihm begegnet uns das Wappen der Heilinge: zwei übereinandergebreuzte Gabeln.
Die übrigen drei Kindergräber werden womöglich in ganz frühem Kindesalter verstorbene junge Heilingsgrafen und -gräfinnen geborgen.haben.
In Lage der jetzigen Ostwand des Heizungskellers fanden sich fünf Gräber, von denen mindestens zwei für schon herangewachsene, etwa 20jährige Töchter der Heilingsgrafen bestimmt gewesen sind. Daran lassen die Kopf- und Zahnbildungen der gefundenen Schädel und auch die vorübergehend ausgegrabenen Beckenknochen keinen Zweifel. Auch die reichlichen Schuhreste mit auffallend kleinen Absätzen und spitzen, zierlichen Lederformen bestätigen das durchaus. Ein drittes Grab ist die Ruhestätte eines erwachsenen Sohnes gewesen, dessen ganz erhaltener Schädel mit einem wundervollen vollständigen Gebiß von 30 Zähnen hierüber keinen Zweifel läßt. Sein Name ist uns so unbekannt wie der seiner Nachbarinnen in den anliegenden Totenkammern zur Rechten und zur Linken. Das vierte dieser fünf Gräber, nach der Südfront der Kirche zu gelegen, hat uns keine Anhaltspunkte für seinen Inlieger gegeben. Es war stärker als die übrigen mit Feldsteinen überwölbt und überpanzert und hat nichts besonderes zutage gefördert.

Hingegen konnten wir das Geheimnis des fünften Grabes dieser Lage etwa 1½ m vor dem des Rudolf Melchior von Heilingen (in der jetzigen Nordostecke des Heizungskellers) gelegen, ganz und gar entschleiern. In ihm fanden wir bei vorsichtigstem Zu-Werke-Gehen ein Häuflein sorgsam aufgebahrter, eng aneinandergelegter Gebeinsknochen etwa in der Mitte des Sarges gelagert, umschlungen von Stoffüberresten einer Attila (Husarenrock), von denen einzelne Schnüre und Knöpfe noch gut erhalten sind. Unter diesem teuren letzten Kleinod einst gebeugter Elternherzen lag ein Offiziersdegen, das wertvollste Fundstück der ganzen Ausgrabungen. Die Klinge mit 1,02 m Länge von edler gerader schlanker Form, oben 4,5 cm breit. einst mit einer Holzscheide getragen und auch so in den Sarg gelegt, sodaß die Holzscheidereste sich noch an der z. T. Angerosteten, aber ganzen Klinge befinden. Der Griff mit verziertem Knopf und halb fehlendem Knauf trägt vergoldeten Beschlag und vergoldete Umschnürung, was sein Alter bestimmen läßt. Insgesamt hat er so, wie wir ihn fanden, ein Gesamtgewicht von 1100 g und im Kampf seiner Form nach mehr als Stich- wie als Hiebwaffe gedient.

Zum Vergleich bemerken wir, daß unser Artillerieoffizierssäbel bei einem Gesamtgewicht von 1700 g (ohne Scheide) eine Klingenlänge von 95 cm und obere Klingenbreite von knapp 3 cm hat, seiner, geschwungenen Klingenform nach auch in erster Linie Hieb und nicht Stichwaffe ist.

Eigentümlich ist, daß im gesamten Grabbereich, dessen Umfang wir einwandfrei durch die Holzlagerreste des Sarges feststellen konnten, keine Schädelreste zu finden waren.

Trotzdem kann kein Zweifel darüber bestehen, wessen Grab wir hier bloßgelegt haben. Und wenn Eines merkwürdig dabei berührt, so ist es der Umstand, daß es genau 300 Jahre nach seiner Anlage bloßgelegt worden ist. Am 7. September 1631 schlug Gustav-Adolf von Schweden die Schlacht bei Breitenfeld. Am 7. September 1931 haben wir den Offiziersdegen unter den sterblichen Resten seines einstigen Trägers aufgefunden, der in jener Schlacht mitgeführt worden ist. Vorzeiten hat die Grabdenkmalplatte über jenem Heldengrab in der Peter-Pauls-Kirche gelegen, die spätere Geschlechter zur Erhaltung an der Südfront aus gestellt haben, wo sie heute noch steht.

Wir haben in jenem Grab die letzte Ruhestädte Caspar Friedrichs von Heilingen gefunden, der am 10. April 1610 hier geboren ward, 1631 in erster jubelnder Mannes-kraft mit in den furchtbaren Krieg zog und auf Seiten Gustav-Adolfs von Schweden focht, am 7. September (wie die Inschrift des Grabmals besagt) bei Breitenfeld mitfocht, am 6. Dezember im 22. Jahre seines Lebens – vielleicht an Wunden – in Prag starb und am 22. Dezember 1681 nach Überführung der-irdischen Reste in dem gefundenen Grab ehrenvoll mit dem Degen, den seine Hand ritterlich geführt, bestattet wurde. Seine Eltern haben diesem edlen Verfechter der evangelischen Sache das stolze Wort des Timotheusbriefes über sein Leben geschrieben: »Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten.« Es ist mehr wie Zufall, daß wir uns in Tagen, in denen der evangelische Glaube von 2 Fronten her aufs neue bedroht wird, von diesem im Gedächtnis wieder erstandenen Helden daran erinnern lassen müssen, daß auch wir Glauben zu halten und für unseren Glauben den guten Kampf zu kämpfen haben.
Es bedarf keines Wortes, daß die Überreste von uns wieder sorgsam an der Außenwand des Heizungskellers neben der ursprünglichen Grablage beigesetzt worden sind.
Nun bleibt noch ein Grab, über das wir zu reden haben und um das die Schleier des Geheimnisses am dichtesten gewoben sind und gewoben bleiben werden. Es handelt sich um das Grab in der mittleren Lage, ungefähr dort, wo jetzt sich die Heizungsöffnung des Ofens befindet, von dem ich bereits im vorausgegangenen Aufsatz der Oktobernummer einiges mitteilte. Ein einziges schmales und kurzes Brett hat den Sargboden gebildet. Dieses war auf gewachsenen Lehmboden gelagert und in völlig festem Zustand erhalten. Wir haben es ganz herausgenommen, ohne daß es zerfiel. Größere Maße als dieses Bodenbrett, das etwa 1,20 m lang war, hat auch der Sarg, nach den übrigen Holzresten zu urteilen, nicht gehabt. Es könnte also ein Kindersarg gewesen sein.
Nun aber der Inhalt und auch Nicht-Inhalt: Keine einzige Spur von menschlichen Überresten, nicht ein einziges Knochenstückchen trotz des gut erhaltenen Bodenbrettes. Statt dessen vielmehr ein großes braunes Gewand aus derbem soliden Hausmacherleinen nebst ein paar Sandalenresten im Sarge verlagert. Wurde uns schon bei den anderen Gräbern z. T. recht übel, diesem Grabgewand entstieg ein unerträglicher Geruch, der starken Brechreiz und Kopfschmerzen zur Folge hatte, sodaß einer der Grabarbeiter einen halben Tag ausfiel. Ich habe dies Gewand dann im Freien nach Nähten pp. untersucht, es besitzt trotz dreihundertjähriger Aufbewahrung in Sarg und Erde eine erstaunliche Festigkeit und ist heute – nachdem es bereits 2 Monate an der Luft liegt – noch unzerstört und unzerfallen. Sollte man seinem gestorbenen Kind ein solch satt braunes, festes Gewand im Sarg angelegt haben? Und was haben dann die Sandalenreste von erwachsenen Füßen mit ihren stark aufgebogenen Ledern im Sarg zu tun? Und die fehlenden Knochenüberreste? Geheimnisvolles Schweigen liegt über dem Grab. Und dieses dreihundertjährige Schweigen bricht niemand mehr!
Oder dürfen wir versuchen, es so zu deuten: Das Gewand hat die typische Farbe der Mönchskutten der Karthäuser- oder Franziskanermönche, die es um die Reformationszeit in Erfurt beide gab. Auch die Form ist der einer Mönchskutte nicht unähnlich, wenngleich es nur ein Stück von ihr ist. Die alten vornehmen Häuser und Grafengeschlechter schickten ihre Söhne in den Ritterstand und wenn möglich einen in den geistlichen Stand. Auch edle Töchter wurden vielfach Nonnen. Sie legten das Ordensgelübde ab, gehörten ihrem Kloster an, blieben aber oft mit ihrem Elternhaus in Verbindung. Sollte einer der Söhne vom Heilingsgeschlecht Mönch geworden sein, Franziskaner oder Karthäuser, früh gestorben sein und das Kloster dem Elternhaus nach seinem Tode einen Teil seines Gewandes und seiner Schuhe-zum Gedenken übersandt haben und sollten die Eltern in frommer Pietät dies etwa-in kleinem Sarg in die Gruft der abgeschiedenen Söhne und Töchter bei gesetzt haben? Es ist möglich. Das Gewand konnte in schwerer Krankheit getragen sein und daher seinen Geruch haben. – Aber das sind freie Kombinationen. Gewisses werden wir über dies Grab nicht sagen können.

Genug! Einen tiefen Blick hat uns jene September Ausgrabung in die mittelalterliche Geschichte Neunheilingens gewinnen lassen. Der Ritterdegen des Caspar Friedrich von Heilingen soll uns des zum Zeichen treu gehütetes Andenken bleiben. Er ist beim Provinzial-Museums angemeldet. Wir hoffen ihn präpariert an allgemein sichtbarer Stelle in einem unserer beiden Gotteshäuser aufhängen zu können. Er erzählt uns, wie sich alte Geschlechter vor Zeiten auch unter uns mit Blut und Leben für evangelischen Glauben eingesetzt haben und mahnt uns schlicht und eindringlich:
Du, tue desgleichen! Sei auch du getreu bis an den Tod! Halte, was du hast!

*¹ Quelle: „Der Heilinger Bote“ 8. Jahrgang, 1931, Nr. 1 + 2, Herausgeber: Pfr. Hans Falckner